Das Interview führt Pfarrerin Christine Treichel
Es begrüßen sie ganz herzlich zu „Evangelisch in Ostbelgien“ in der Technik Siegfried Niessen und am Mikrofon Christine Treichel, Pfarrerin der protestantischen Kirchengemeinde Malmedy/St.Vith und Vakanzverwalterin der zweiten Pfarrstelle Eupen/Neu-Moresnet.
Liebe Hörerinnen und Hörer,
heute habe ich ihnen einen Gast mitgebracht, der ihnen, falls sie meine Sendung regelmäßig verfolgen, schon bekannt sein dürfte. Und ich bin sehr froh, dass Pfarrer Steven Fuite, Präsident der Vereinigten Protestantischen Kirche in Belgien, auch in diesem Jahr in das Studio des BRF gekommen ist, um sich meinen Fragen zu stellen.
Herzlich Willkommen Herr Präsident und vielen Dank, dass sie sich die Zeit genommen haben für dieses Interview.
Das mache ich immer wirklich sehr gern!
Jedes Jahr aufs Neue freue ich mich von meiner Wohnung, in der Nähe von Brüssel, nach Ostbelgien zu reisen.
Übrigens war ich auch Ende November hier in Eupen auf Einladung des Ministerpräsidenten Oliver Paasch zum runden Tisch der Religionen. Ich hatte die Ehre eine Erklärung zu unterzeichnen und am Runden Tisch teilzunehmen. Eine schöne Initiative, wie auch anderswo in unserem Land, in der sich alle anerkannten Religionen ganz deutlich dafür aussprechen, sich engagieren zu wollen für Zusammenarbeit und für eine Gesellschaft, die mehr gegenseitiges Verständnis und Respekt hat und für die Vielfalt und für die Individualität aller Menschen eintritt, eine echte Gesellschaft eben.
Ich interviewe sie nun schon zum vierten Mal an dieser Stelle und sie haben sich in den vergangenen Jahren ausführlich unseren Hörerinnen und Hörern vorgestellt und über unsere protestantische Kirche berichtet. Alle Interviews können im Podcast unter dem Thema „Evangelisch in Ostbelgien“ angehört werden, deshalb möchte ich dieses Mal gleich in medias res gehen.
Es gibt z.Z. mehr als 200 Millionen verfolgte Christen auf unsere Erde, was sagen Sie dazu?
Was für eine Frage! Eine gute Frage, sicher! Ich muss leider einfach zugeben, dass dies in unserer westlichen Gesellschaft, und mehr genau in unseren christlichen Kirchen hier in West-Europa, leider oft zu wenig Aufmerksamkeit findet.
Wir, Christen im Westen, moderne Menschen, ganz – wie soll ich sagen – besessen durch den Gleichklang aller Menschen. Gerade wir neigen oft dazu, unsere Überzeugung für Gleichbehandlung und gleiche Rechte für alle so weit zu treiben, dass wir unsere eigenen Glaubensgenossen manchmal nicht sehen oder fast als zweitrangig behandeln.
Ich finde, dass dieses Thema viel zu wenig behandelt wird, liegt es an unserer zu großen Toleranz dem Islam gegenüber, denn natürlich werden Christen zunächst am meisten in islamischen Ländern verfolgt?
Zu viel Toleranz des Islam gegenüber, sagen oder fragten Sie?
Ich weiß es nicht.
Wie sie wissen, ist est immer gefährlich und zu einfach um ganz generalisierend über den “Islam” zu sprechen.
Es gibt überhaupt keine Einheit.
So wenig wie im Christentum.
Vielleicht eben ja noch weniger.
Aber,… ja, ich verstehe ihre Frage wirklich sehr gut.
Die Flüchtlinge, zum Beispiel, die in unserem Land Zuflucht suchen, sie sind nicht nur islamisch.
Im Gegenteil.
Auch Christen, die wenig oder gar keinen Schutz im eigenen Land genießen und leicht zum Opfer werden für Drohungen und Verfolgung – wie in Ägypten, Syrien und im Iran.
Ich habe im Namen der Vereinigten Protestantischen Kirche in Belgien einige empfangen dürfen.
Es war Ende Dezember in Zaventem auf unserem nationalen Flughafen. Glücklicherweise konnte unsere Kirche ihnen ein Haus zu Verfügung stellen und ein Zuhause anbieten. So viele Freiwillige wollen ihnen helfen, einfach für sie da sein. Ganz toll. Es ist sehr emotional, das zu sehen.
Aber andere in den Asylzentren, in denen sie zusammen mit islamischen Asylbewerbern leben müssen, erfahren manchmal Einschüchterungen und Drohungen.
Darüber hinaus, ganz kompliziert, kommen Christen, die geflohen sind, eben weil sie Christen sind, hier bei uns in Kontakt mit einer Gesellschaft, in der durch die Reformation verwurzelte traditionelle Kirchen heute versuchen, einen interreligiösen Dialog zu initiieren, gerade auch mit einer religiösen Tradition (in diesem Fall des Islam), vor der sie geflohen sind.
Ja, das ist gar nicht einfach.
Wird da nicht zugunsten des Dialogs verschwiegen, dass Christen in vielen muslimischen Ländern verfolgt und bedroht werden?
Ja, da haben sie Recht.
Die Muslime, mit denen ich im Rahmen des interreligiösen Dialogs spreche, sind anderen religiösen Traditionen gegenüber sehr offen. Ganz logisch. Weil, wenn sie es nicht wären, würden sie ganz einfach gar nicht an der interreligiösen Konversation teilnehmen. Es ist daher eine Auswahl. Wie übrigens auch auf der protestantischen Seite. Auch dort gibt es, wie Sie wissen, gewisse Gruppen, die glauben, dass sie die Wahrheit haben und deshalb nicht in einen Dialog eintreten wollen.
Die Muslime aber, mit denen ich im Rahmen des interreligiösen Dialogs spreche, sind sich bewusst, dass auch sie nicht das letzte Wort haben und sind bereit, mit ihrem religiösen Gepäck nicht die Begegnung und das Gespräch zu blockieren.
Die Leute gewöhnen sich oft daran, aber es gibt auch eine enorme Vielfalt in der muslimischen Welt. Ganz große Unterschiede.
Müsste nicht bei interreligiösen Gesprächen, die sie ja auch führen, dieses Thema in den Mittelpunkt gestellt werden, sind wir das nicht unseren christlichen Schwestern und Brüdern schuldig? Und was ich auch vermisse ist eine inhaltliche Auseinandersetzung, denn für mich unterscheidet sich die Botschaft von Jesus Christus entscheidend von der Mohammeds?
Ja, ich bin mir dessen bewusst, versuche es manchmal auch, aber, eben wie gesagt, gibt es eine enorme Vielfalt in der muslimischen Welt. Die Meisten, vielleicht alle Muslime, die ich spreche, sind ganz einverstanden. Ja, sie stimmen mir zu, können aber keinen Einfluss ausüben. Sie sollten nicht vergessen: es gibt keine zentrale Lehrbehörde in der muslimischen Welt.
Ich habe schreckliche Dinge gelesen bis hin zu Morden und zerstörten Kirchen, übrigens auch in hinduistischen, buddhistischen Ländern und kommunistischen Diktaturen. Auch habe ich zwei Patenkinder, die vor dem Islam und nur vor dem Islam geflohen sind aus dem Iran, wie sie selbst sagen, in mein Haus aufgenommen. Und auch von ihnen habe ich unglaubliche Geschichten gehört, die mir bis dahin so nicht bewusst waren, denn sie kennen den Islam als geborene Muslime besser als wir?
Zunächst einmal danke ich dir sehr. Wunderbar ist es. Es berührt mich immer, wenn eine Person einer anderen Person ein Zuhause gibt. Ganz konkret!
Im übrigen kann ich nur wiederholen, was ich gesagt habe. Deine zwei Patenkinder sind geflohen, aber nicht wegen des Islam, sondern wegen einer gewissen, verwerflichen und vernichtenden Form, die behauptet, der Islam zu sein.
Das sehe ich anders, weil beide nach langem Bibelstudium und sie kennen auch den Choran natürlich viel besser als wir, sich für die befreiende Botschaft von Jesus Christus entschieden haben, in der die Liebe und nur die Liebe der Oberbegriff ist.
Meine nächste Frage:
Christliche Flüchtlinge können sich auch in Belgien in den Flüchtlingscamps nicht outen aus Angst vor den Muslimen. Bei ihren Interviews bei der Ausländerbehörde in Brüssel, die allein über ihr Bleiberecht entscheidet, werden ihnen so spezielle Fragen gestellt, die meine Gemeindeglieder nicht beantworten könnten, ist das noch gerecht oder überwiegt schon die Angst vor dem Islam, dass wir diese Themen in der Öffentlichkeit nicht mutiger ansprechen?
Die Tatsache, dass christliche Flüchtlinge sich hier in unserem Land nicht äussern können aus Angst vor den Muslimen ist ganz schrecklich und unakzeptabel. Es ist auch nicht hinnehmbar, dass Gläubige auf – wie soll ich sagen – hohem theologischen Niveau verhört werden.
Haben Sie schon mal einem muslimischen Mitbürger oder gar einem Imam die Frage gestellt, was er machen würde, wenn seine Tochter Christin werden würde?
Habe ich nicht.
Muss ich ehrlich sagen.
Werde ich aber machen.
Bin aber sicher, dass dies für die meisten gar kein Problem darstellt. Weil ja – Verzeihung für meine Wiederholung – die Muslime, die ich spreche, sind ja bereits offen für andere Perspektiven, weil sie mit mir sprechen und einen Dialog führen wollen.
Dass ist das grosse Problem, wissen sie.
Es gibt überall Fundamentalismus.
Überall.
In der muslimischen Welt, in der christlichen Welt, sogar im Humanismus. Starken Dogmatismus gibt es dort sogar.
Darf ich sie an die Feierlichkeiten im Oktober erinnern.
Der schöne Gottesdienst der Vereinigten Protestantischen Kirche in Belgien zum Gedenken des Anfangs der Reformation im 16. Jahrhundert.
Unsere Vereinigte Protestantische Kirche in Belgien wollte diesen Gottesdienst sehr gern in der römisch-katholischen Kathedrale im Zentrum von Brüssel feiern.
Der Kardinal stimmte von ganzem Herzen zu.
Sowohl unser Wunsch, es genau dort zu feiern, als auch die Spontanität, mit der der Kardinal zu mir sagte: “Aber natürlich, alles in Ordnung”, ist ein schönes ökumenisches Signal.
Und wirklich, es wurde eine sehr eindrucksvolle Feier.
Übrigens, in der Kathedrale war zu wenig Platz.
Viele, mehr als tausend Menschen, wollten anwesend sein.
Jedenfalls, als eine symbolische Handlung haben sich der Kardinal und ich, die beide für eine Tradition stehen, die Bücher des anderen verbrannt haben und noch viel mehr, – eben Menschen – einander Bücher gegeben und einander umarmt.
Aber … zu Beginn dieses Gottesdienstes standen einige extremistische Katholiken auf und begannen die Feier zu stören. Sie fanden es unverständlich, dass im heiligen katholischen Tempel dieses Landes, eine protestantische Feier stattfand, um der Reformation zu gedenken!
Nicht nur der Kardinal, sondern auch der päpstliche Nuntius waren unter den Gästen.
Sie gingen zu ihnen, versuchten die extremen Katholiken davon zu überzeugen, ihren Protest aufzugeben. Ohne Erfolg.
Wissen sie warum?
Diese sogenannten Katholiken erkennen die Autorität des Kardinals nicht an. Auf ihrer Website wird deutlich, dass sie ja eben nicht einmal die Autorität des jetzigen Papstes akzeptieren.
Nur die Polizei konnte sie später entfernen.
Nun, genau so ist es in der muslimischen Welt.
Eine Person hat gar nichts über die anderen zu sagen.
Ich habe bei diesem Gottesdienst mitgewirkt und hätte nie geglaubt, dass so etwas im 21. Jahrhundert möglich ist, fühlte mich ins Mittelalter zurückversetzt.
Herr Präsident in Westeuropa herrscht Religionsfreiheit, die meisten Flüchtlinge sind Muslime, die Kirchen werden immer leerer, haben wir unser einst christliches Abendland selbst aufgegeben?
O, nein. Jedenfalls ich nicht.
Wissen sie, es gibt zu viele wertvolle Errungenschaften.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sie nicht verloren gehen werden.
Die Aufmerksamkeit – verständlicherweise – konzentriert sich auf das, was Heute schief geht.
Der Bodenfluss bleibt erhalten.
Eine letzte Frage, was wünschen Sie sich für das Jahr 2018, was liegt ihnen am Herzen und welche Prioritäten wollen Sie in Bezug auf unsere Kirche setzen?
Oh, da fragen sie mich etwas.
Es gibt viel zu wünschen übrig.
Was mir zur Zeit sehr am Herzen liegt, ist, wie ich den Pfarrern ‚meiner‘
VPKB helfen kann, ihre wunderbare Aufgabe in dieser Zeit zu erfüllen.
Viele von ihnen fühlen sich in dieser populistischen Zeit manchmal einsam.
Ich engagiere mich dafür, sie in ihrer Mission zu verankern, das Evangelium in angemessener Sprache zu verkündigen.
Die Kirche und ihre Diener müssen sich ständig verändern.
Die Botschaft bleibt immer gleich: „Lass die Liebe und nur die Liebe herrschen“.
Das ist eine klare Aussage, der ich mich nur anschließen kann.
Ich danke Ihnen von Herzen für dieses Gespräch.
Wir wünschen ihnen einen gesegneten Sonntag und viel Liebe für die kommende Zeit. Bis zum nächsten Mal ihre Pfarrerin Christine Treichel!