Bevor wir kurz auf den Begriff “Antisemitismus” eingehen, wollen wir zunächst einige Begriffe erläutern, die oft verwechselt oder als Synonyme verwendet werden[1].
“Judenhass” bezieht sich auf feindselige Gefühle gegenüber Juden im Allgemeinen.
Judenhass bezeichnet die negativen Stereotypen über Juden in der Gesellschaft und den Ausschluss von Juden aus (Teilen) des gesellschaftlichen Lebens. Es ist die Überzeugung, dass Juden von der Regierung aktiv bekämpft, in ihren Rechten eingeschränkt werden und im Extremfall sogar ganz verschwinden sollten.
Judenhass in einer Gesellschaft deutet darauf hin, dass mit der Gesellschaft als Ganzes etwas nicht stimmt.
“Antijudaismus” bezieht sich auf die negative Einstellung der christlichen Kirche und des Islams gegenüber dem Judentum als Religion und den Juden als Anhängern dieser Religion.
Der Antijudaismus beruht auf religiösen Annahmen und Vorurteilen, z. B. der Überzeugung, dass “die” Juden Gottesmörder sind und dass sie diskriminiert werden dürfen/sollen, weil sie Jesus abgelehnt haben.
“Antisemitismus” bezeichnet die rassistische Form des Judenhasses, die im neunzehnten Jahrhundert aufkam und sich gegen die jüdische “Rasse” richtete. Der Begriff “Antisemitismus” ist also ein relativ junges Konzept. Heute wird “Antisemitismus” im weitesten Sinne als Oberbegriff für alles antijüdische Denken und Handeln verstanden.
Bei dem Antisemitismus geht es um den imaginären Juden und die Betrachtung von Juden durch diese Brille. Der Antisemitismus ist sehr fließend und dynamisch, aber mit einer Kontinuität von Märchen und Geschichten, die Teil des kollektiven Gedächtnisses und der kollektiven Psychose sind. Sie gibt vor, eine Antwort auf Probleme zu finden, die die Menschen auf den imaginären Juden projizieren. Die Juden sind die Ursache für alle Probleme der Welt. Alle Schuld wird den Juden zugeschoben.
Prof. Deborah Lipstadt unterscheidet vier verschiedene Arten von Antisemitismus[2] :
- Der Extremist
Geht von der Vorherrschaft der Weißen aus und ist stark rassistisch geprägt.
- Der Unterstützer
ist als Anführer selbst kein Antisemit, sondern fördert und verbreitet Erscheinungsformen des Antisemitismus. Diese Person sagt oder tut Dinge, die es anderen ermöglichen, antisemitische Dinge zu sagen oder zu tun.
- Der Höfliche (oder der “Antisemitismus bei Dinnerpartys”)
spricht über den (negativen) jüdischen Einfluss in der Welt, fügt aber hinzu, dass die eigenen besten Freunde jüdisch sind.
- Der Ahnungslose
ist ein netter und wohlmeinender Mensch, der sich nicht bewusst ist, dass bestimmte antisemitische Klischees alltäglich geworden sind und auf diese Weise aufrechterhalten werden. Diese Person erzählt ihren jüdischen Freunden ohne Umschweife, dass dieser oder jener jüdische Händler in Wirklichkeit ein typischer Wucherer ist, der es auf Ihr Geld abgesehen hat.
Antisemitismus ist manchmal sichtbar (z. B. durch die Beschmierung von Synagogen), und er ist auch ein politisches Instrument (z. B. die ganze Diskussion und die Entscheidungen über das unbetäubte Schächten).
Doch Antisemitismus ist weit mehr als ein Angriff auf Juden, er ist ein Angriff auf einen Großteil der westlichen Gesellschaft, denn Antisemitismus gedeiht in einer Gesellschaft, die anderen gegenüber intolerant ist, seien es Migranten oder rassische oder religiöse Minderheiten. Daher ist Antisemitismus eine Bedrohung für das Wohlergehen jeder offenen, gerechten und demokratischen Gesellschaft. Juden zum Sündenbock zu machen, ist ein Weg, die Kirche, die Bevölkerung und die Gesellschaft zu spalten. In den letzten Jahren haben diese Hassreden leider durch das Internet und die sozialen Medien zugenommen.
Antisemitismus muss genauso ernsthaft behandelt werden wie Rassismus, Sexismus, Homophobie und Islamophobie. Aber die Bekämpfung des Antisemitismus ist die Aufgabe von Nicht-Juden, nicht von Juden, denn das ist Öl ins Feuer gegossen.
Die Broschüre “Antisemitismus – Vorurteile, Ausgrenzungen, Projektionen – und was wir dagegen tun können” des Arbeitskreises für Kontakte mit dem jüdischen Volk gibt einen inspirierenden Einblick, wie wir als Kirche eine führende Rolle bei der Bekämpfung von Antisemitismus spielen können und enthält eine Reihe praktischer Tipps für den Umgang mit Antisemitismus und Judenhass.
Harry Sinnaghel
[1] Smelik K.A.D. (2015), Antisemitisme, Actualiteit van een historische ontwikkeling. Antwerpen: Garant, pp. 16-18
[2] Lipstadt, D. (2019), Antisemitism – Here and Now. New York: Schocken Books