Sie suchen uns, aber lassen wir uns eigentlich finden? (Interview mit ds Steven H. Fuite)

Nicht alle Flüchtlinge, die in unserem Land Zuflucht suchen, sind Muslime. Es sind auch Christen darunter, die in ihrem eigenen Land kaum Schutz genießen und für Bedrohung und Verfolgung zur leichten Beute werden, z.B. in Ägypten, Syrien und im Iran.

In den Asylunterkünften, in denen sie mit musli­mischen Asylbewerbern untergekommen sind, werden sie manchmal Opfer von Ein­schüchterung und Bedrohung. Außerdem kom­men sie mit einer Gesellschaft in Kontakt, in der die tradi­tio­nellen Kirchen, deren Wur­zeln im 16. Jahr­hun­dert liegen, unter feh­len­dem Zu­spruch leiden und kirchen­leiten­de Leute einen interre­ligiösen Dialog in Gang setzen, und zwar auch mit einer Glau­benstradition (in diesem Fall mit dem Islam), vor dem sie gerade geflüchtet sind.

 Wird bei der Suche nach Gemeinsamkeiten unter den verschiedenen Religion nicht ver­schleiert, dass in vielen muslimisch geprägten Ländern Christen verfolgt und bedroht werden?

Pfarrer Fuite: Die Muslime, mit denen ich im Rahmen des interreligiösen Dialogs spreche, sind offen für die Belange anderer Glaubens­tra­ditionen. Sie sind sich dessen vollauf be­wusst, dass auch sie die letzte Wahrheit nicht haben, und sie lassen nicht zu, dass ihr religiö­ser Ballast keine Blockade für den Gedan­kenaustausch bildet. Es kommt Menschen oft anders vor, aber auch innerhalb der islami­schen Welt muss von einer enormen Vielfalt gesprochen werden.

Das verstehe ich, aber lassen wir nicht gerade mit dieser Relativierung unsere eigenen Glau­bensgeschwi­ster im Regen stehen? Sie flüch­ten, weil sie als Christen in Gefahr sind.

Gut, ich muss hinzufügen, dass ich mir diese Fragen aus dieser Perspektive noch nicht so direkt gestellt habe. In unserem Zusammen­leben  besteht im Allgemeinen eine immer geringer werdende Nachfrage nach der Institution Kirche. Etliche Christen neigen in gewisser Weise dazu, sich entspannt zurück­zulehnen und zu denken, man könne auch ohne Kirche und Gottesdienstbesuch seinen Glauben bewahren. Aber wenn man sich vor Augen stellt, dass Christen wegen ihres Glaubens zur Flucht gezwungen werden, hier in einer ihnen unbekannten Gesellschaft an­kom­men und Zuflucht suchen bei einer Gemeinschaft von Christen, die ihren Glauben in Freiheit leben dürfen, dann bekommt die Kirchenmüdigkeit eine hochproblematische Seite. Denn wo sollen diese Christen Men­schen finden, die nicht nur bereit sind, ihnen Gehör zu schenken, sondern auch für sie zu beten?

 Gleich nach den Anschlägen von Manchester bekam ich mit, dass in einem Gottesdienst sehr wohl für die Opfer des Anschlags gebeten wurde, aber nicht für die Gruppe koptischer Christen, die kurz danach um ihrer Glaubensüberzeugungen in Ägypten von IS-Kämpfern bedroht wurden. Was sagt das über unseren Umgang mit dem Schicksal von verfolgten Christen aus?

Sie haben mit dem, was Sie sagen, völlig Recht. Fühlen wir uns zuerst als Europäer und erst danach verbunden mit der weltweiten Christenheit? Wie auch immer, ich denke, dass auch wir uns zu wenig den fundamentalen Unterschied bewusst machen zwischen einem Anschlag auf Menschen, die zufällig Opfer werden – wie abscheulich dies auch ist –, und dem zielgerichteten Hinmorden von Men­schen wegen ihrer Glaubenseinstellung. Hier fehlt es an Bewusstseinsbildung, … man kann das als Ausdruck einer Identitätskrise an­se­hen. Ich nehme übrigens wahr, dass mögli­cher­weise auch innerhalb der VPKB wenig Aufmerk­samkeit für diese Art von Fragen besteht. Mir hat dieses Gespräch auf jeden Fall die Augen geöffnet.

Interview:  Annet Sinnema

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