Stille Räume, stille Nacht

Wir können Stille auf unterschiedliche Weise erfahren. Manche unter uns sehnen sich nach einem Ort, am dem sie nicht mehr dem Lärm und dem Stress ständiger Kommunikation ausgesetzt sind und – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – zur Ruhe kommen. Andere wiederum assoziieren „Stille“ mit „Leere“. Tag für Tag allein zu sein ist eine schwere Bürde. Ohne Menschen, die einem nahe stehen, ist der Mensch einsam. In dieser Stille gibt es viel Kummer. Aber es gibt noch eine andere Art der Stille. Der Stille unter vielen Menschen, mit denen man nicht reden kann – und schon gar nicht über Dinge, die einen wirklich berühren.

Es gibt Zeiten, in denen einen das Unglück geradezu verfolgt. Alles verläuft anders, als man erwartet und erhofft hat. Es kann sogar sein, dass einen nach einem lang ersehnten Erfolgserlebnis ein Gefühl der Leere überfällt. Wo gibt es eigentlich noch Sinn? Ist das Leben nicht ein einziges großes Wartezimmer? Versuchen wir nicht ständig, das Warten mit Vergnügungen zu füllen? Und was kommt danach…?

Zurzeit werden in vielen Krankenhäusern und Altersheimen „Stille Räume“ eingerichtet. Sie laden Menschen ein, andächtig zu sein und Ruhe zu finden. Sie erfahren Stille: die Leere, die es ihnen ermöglicht, zu sein. Einmal nichts zu „tun“, sondern das zuzulassen und anzunehmen, was ist. Die Stille, die Leere in dir selber.

Dies ist der Augenblick, an dem man zu lauschen beginnt. Danach, wer man selber ist und was man fühlt. In der Stille können wir uns weiterentwickeln. Wir können über das, was uns bewegt, mit uns selber sprechen – oder, im Gebet, mit Gott. So ermöglicht die Stille ein Zwiegespräch, durch das wir lernen, andere zu verstehen. Wir lauschen, bis wir in der Stille mehr begreifen. Wir werden uns unserer Verbundenheit mit anderen bewusst, wir sind nicht mehr allein.

Du kannst dich des Schönen in deinem Leben erinnern und es in der Erinnerung abermals erleben. Aber du darfst auch den Schmerz von heute und von früher zulassen. Du brauchst dich nicht dagegen zu wehren und davor zu schützen. Du darfst es dem Einzigen anbefehlen, der all dies bereits erlebt hat. Um Seinetwillen feiern wir Weihnachten. Das Fest, das uns daran erinnert, dass Gott einen Teil seiner selbst, seinen Sohn, auf diese Erde geschickt hat, damit jeder, der an Ihn glaubt, jetzt und in aller Ewigkeit lebe.

In einer stillen Nacht in einer kleinen Stadt wurde ein Stall ein „sinnvoller“ Ort. Für die Hirten und die drei Weisen war es sinnvoll, zum Stall zu kommen. In der „Stillen Nacht“, in der sie unterwegs waren, erfuhren sie, dass wir nicht alleine bleiben: Gott ist mit uns, Emmanuel! Welch ein Trost! Der Allmächtige kommt zu uns, um uns zu retten! Auch, wenn wir es nicht immer spüren. Er kommt zu uns, auch im Lärm des Lebens. Rings um den Stall war es vermutlich nicht immer still. Und dennoch, das Wesentliche des Lebens wurde hier offenbart: Die Liebe ist das Wichtigste, Gottes Liebe ist grenzenlos.

„Sei still, warte ab, alles wird neu.“ Die Stille bietet Möglichkeiten. Die Möglichkeit, das wirklich Wichtige zu erkennen. Sei still, lausche, warte… Und der Raum und die Leere füllen sich mit Hoffnung. Sie werden in ein unsichtbares Zusammengehörigkeitsgefühl transformiert. So wie Kris Gelaude einmal schrieb:

„Die Welt ist zu laut für das Lied der Engel. Aber manchmal hören diejenigen es, die gemeinsam singen, die ihr Herz öffnen, die unterwegs sind in der Nacht. Das Kind, das seine Augen öffnet, wird – ebenso wie damals – geboren, wo man es nicht erwartet.“

Uns bleibt nur, zu beten:

Meine Seele erhebt den HERRN,

und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilands…

(Lukas 1:46-47, Magnifikat)

 

Tünde Boelens-Csákány

Protestantisch-evangelische Krankenhaus- und Altersheim-Seelsorgerin

 

Übersetzung: Marion Schmitz-Reiners

 

 

 

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